FRANZ FÜGER stammt aus Nordböhmen und fand nach Kriegsende, wie viele andere Heimatvertriebene, in Geretsried eine neue Heimat. Nach dem plötzlichen Tod von Kurt Fauser übernahm er 1953 für zwei Jahre den Vorsitz des TuS Geretsried, dem er anschließend noch viele Jahre die Treue hielt. Heuer wird er 100 Jahre alt. Wir haben mit ihm gesprochen.
Herr Füger, lassen Sie uns gemeinsam in die Anfangsjahre von Geretsried und die Anfänge des TuS zurückblicken. Wie schwierig war diese Zeit?
Die Anfangsjahre waren nicht einfach. Man muss sich Geretsried als Niemandsland vorstellen, in dem sich Vertriebene aus vielen Regionen des Sudetenlands ansiedelten und sich als Gemeinschaft neu finden mussten. Der TuS war zu dieser Zeit eine sehr wichtige Kraft, die auch zur Gründung der Stadt beigetragen hat. Der TuS ist aller Anfang. Er wurde gegründet, weil man den jungen Leuten hier etwas Gutes bieten wollte. Wir hatten keine Autos oder Fahrzeuge, wir sind nach dem Sport zusammengeblieben, das war ganz anders als heute. Dadurch ist ein Gemeinschaftsgefühl entstanden. Wir waren hier alle auf Neuland, hatten wackelige oder keine Existenzen und haben Halt und eine Zukunft gesucht.
Was waren Ihre Sportarten?
Meine Sportart war das Turnen. Ich habe auch im TuS immer die turnerische Seite vertreten, das war meine Welt. Fußball ist für mich eher eine Kampfsportart, das war nicht so meine Sache. Wenn, dann haben wir eher Handball gespielt. Ich habe nach meiner Zeit als TuS-Vorsitzender auch noch einige Jahre lang die Turnabteilung geführt.
Welche Bedeutung hatte der Sport damals für Sie und Ihre Freunde?
Wir wollten die Traditionen des Turnens aus der alten Heimat wieder aufleben lassen. Mehr als heute wurde nicht nur Sport getrieben und die Gemeinschaft gepflegt. Zu Beginn eines Sporttages ist man zusammengestanden, teilweise hat einer einen Spruch aufgesagt und dann ist es losgegangen. Das hatte fast eine festliche Einleitung, das war wie ein Ritual. Die Grundlagen dafür haben wir aus der sudetendeutschen Turnbewegung mitgenommen. Wir haben dort als sprachliche Minderheit aufpassen müssen, dass unsere Werte erhalten bleiben. Der Turnverein war nicht nur ein Freiübungsverein, sondern auch ein Verein, der die Sprache, Sitten und Gebräuche gepflegt hat. Davon ist in den Anfangsjahren auch einiges beim TuS eingeflossen. Das Gemeinschaftserlebnis war für uns alle sehr wichtig.
Wo befanden sich die Geretsrieder Sportstätten der Anfangszeit?
Die Böhmwiese war am Anfang besonders wichtig für uns. Da wurde Fußball gespielt, geturnt, und vieles mehr. Man hat sich vor dem Rathaus getroffen, ist über die B11 gegangen und hat dort seine Übungen gemacht. Und das ehemalige Gasthaus Böhm war dort ein wichtiger Treffpunkt. Hier ist man zusammengesessen, hat sich ausgetauscht, auch mal gemeinsam gesungen. Dort ist ein neues, ein Geretsrieder Gemeinschaftsgefühl entstanden. Dazu hat der Wirt Bruno Böhm viel beigetragen, seine Biere auch.
Wie ging es weiter?
Die erste Sporthalle war ein umgebauter Bunker, heute befindet sich das Schützenhaus dort. Der kleine Anbau war die Umkleide. Der Boden war anfangs nicht ideal für uns Turner, aber die Firma Gänßbauer hat dann einen passenden Holzboden verlegt.
Geretsried als Flüchtlingsstadt wurde von den umliegenden Gemeinden kritisch betrachtet. Wie war das unter Sportlern?
Unter Sportlern gab es keine Differenzen. Wir haben versucht, hier ein neues Leben zu finden, wir wollten einfach Fuß fassen und dieses Geretsried schien uns geeignet dafür. Es war ein großes Gelände, dass uns große Entwicklungsmöglichkeiten bot. Wir haben uns damals enger verbunden gefühlt als heute. Und ich denke, wir haben auch einigen Einheimischen gezeigt, was mit Einsatz und Willen alles möglich ist. Sie waren verwurzelt in der Region, hatten ihre Familien und ein Umfeld, sie konnten entspannter in die Zukunft blicken. Wir hatten nichts und mussten uns alles wieder neu aufbauen. Aber wir waren damals jung und hoffnungsfroh. Und Not macht bekanntlich erfinderisch. Geretsried war nichts anderes als der Traum der Vertriebenen, eine neue Heimat zu finden.
Sie haben ab 1949 nicht nur den TuS Geretsried mit aufgebaut, sondern auch die Firma Füger, die dieses Jahr ebenfalls 75-jähriges Jubiläum feiert. Wie kam es dazu?
Wir haben mit der Firma 1949 im Bunker 544 (jetzt Speck Kolbenpumpen) angefangen. Gewohnt habe ich im Gebäude 637, das war das ehemalige Feuerwehrgebäude im Schalmeienweg, wo unten die Garagen für die Feuerwehrwägen waren. Heute befindet sich unsere Firma dort.
Haben Sie noch einen Ratschlag für die heutigen TuS-Vorstände?
Der Kern ist Jugendarbeit und eine gewisse Disziplin. Turnen und Sport allgemein sind eine Sache der Haltung. Eine gute Haltung überträgt sich auch auf die Seele. Das mag sich etwas veraltet anhören, die Zeit geht natürlich weiter und es kommen immer neue Herausforderungen hinzu. Die Jungen werden es schon richten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Autor: Mathias Renz